Vorübergehend in Schutzhaft

Dr. Claudia Becker über die Gewerkschaften in Lippstadt im Jahr 1933

Von Ende Oktober bis Ende Dezember 2009 fand in Lippstadt eine beachtenswerte Ausstellung zum Thema Nationalsozialismus und freie Gewerkschaften im Lippstädter Stadtmuseum statt. Die Ausstellung setzte sich mit den historischen Ereignissen im Frühjahr 1933 auseinander. Nachdem der 1. Mai von den Nationalsozialisten zum „Tag der nationalen Arbeit“ erklärt worden war, stürmten am folgenden 2. Mai Rollkommandos die Gewerkschaftshäuser und andere Einrichtungen der Arbeiterbewegung. Die Aktion war von langer Hand geplant. Was die Nationalsozialisten mit dem Begriff „Gleichschaltung“ verharmlosten, war nichts anders als die gewaltsame Zerschlagung der demokratischen und freien Arbeiterbewegung. Funktionäre wurden misshandelt, verhaftet und ermordet, die Gewerkschaftshäuser verwüstet und das Gewerkschaftseigentum konfisziert. Zugleich dokumentierte die Ausstellung im Stadtmuseum Lippstadt den Beginn der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die nur wenig später in den Ausbruch des 2. Weltkrieges vor 70 Jahren mündete. Unter den damals verfolgten Gewerkschaftlern befand sich mit Paul Schoppe auch ein Sozialdemokrat, der sich nach 1945 und dem Zusammenbruch der Nazi-Schrekcnesherrschaft erneut wieder für die Arbeiterbewegung engagierte. Unter anderem tat er dies in den Jahren des Wiederaufbaus als Kassierer des Lippstädter SPD-Ortsvereins. Die Lippstädter Stadtarchivarin Dr. Claudia Becker berichtete zum Ende der Ausstellung in einer Zusammenkunft der Verdi-Senioren über die Ereignisse in Lippstadt von 1933. Im Rahmen der Beiträge zur Parteigeschichte der Lippstädter Sozialdemokratie wird das interessante Referat von Dr. Claudia Becker mit einigen Fotos von Hans Zaremba über das Treffen der Verdi-Senioren mit der Stadtarchivarin an dieser Stelle im Wortlaut veröffentlicht.

Vorübergehend in Schutzhaft.Nach dem Referat von der Stadtarchivarin Dr. Claudia Becker (Dritte von rechts in der vorderen Reihe) fand sich die Verdi-Gruppe zum Erinnerungsfoto im Ausstellungsraum im Lippstädter Stadtmuseum ein. Mit im Bild in der hinteren reihe auch der Leiter des Museums auf dem Lippstädter Marktplatz, Dr. Herbert Pötter, der durch seine Körpergröße alle anderen Personen auf dem Foto überragt. Die weiteren Fotos des nachfolgenden Beitrages auf dieser Seite vermitteln einige Eindrücke der beachtenswerten Ausstellung.

Freie Gewerkschaften und Christliche Gewerkschaften

Zu den Vorgängen um die Gewerkschaften in Lippstadt 1933 liegt nur sehr wenig Material vor. Im Unterschied zu der Ausstellung, die sich vorwiegend mit den Freien Gewerkschaften beschäftigt, werden die folgenden Ausführungen auf die christlichen Gewerkschaften ausgedehnt. Das macht hier auch durchaus Sinn, wie im Weiteren deutlich wird.

Vor 1933 gab es auch hier mehrere Gewerkschaftsrichtungen: die Freien Gewerkschaften, organisiert im ADGB, die der Sozialdemokratie nahestanden, dann die im DGB vereinten christlichen Gewerkschaften, die hier traditionell am stärksten waren, Zentrums-nah und national eingestellt. Hinzu kam noch die Revolutionäre Gewerkschafts-Opposition (RGO) der Kommunisten, die sich vom ADGB abgespalten hatte. Auch sie gab es in Lippstadt, seit 1931. Die nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO), hier seit Ende 1932 bekannt, konnte wie in vielen anderen Städten auch in Lippstädter Betrieben kaum Fuß fassen.

Der ADGB hatte auf Reichsebene bereits Anfang Februar seine politische Neutralität gegenüber der NS-Regierung erklärt. Der DGB bemühte sich im Frühjahr 1933 um eine Annäherung an die Nationalsozialisten, was auch für Lippstadt belegt ist, wie im Weiteren deutlich wird.

Zur unmittelbaren Vorgeschichte des 2. Mai in Lippstadt

Am 21. Februar 1933, gerade einmal drei Wochen nach Hitlers ‚Machtergreifung‘, forderte der hiesige Landrat von den Bürgermeistern als Ortspolizeibehörden des Kreises ’sofort‘ die Anfertigung von Listen, in denen aufzuführen waren 1) die Führer der KPD, 2) die der kommunistischen Nebenorganisationen wie der RGO und 3) die Führer der Freien Gewerkschaften. ‚Die Listen enthalten die Namen nebst Decknamen und Wohnung (auch ggf. Ausweichquartiere).

Ergänzungen und Abänderungen sind laufend einzureichen.‘ Man wollte also stets auf dem aktuellen Stand sein, wo man wen im Falle des Falls auffinden konnte. Die Liste für Lippstadt enthält die Namen von 15 Personen, von denen 7 der Arbeiterbewegung angehörten. Stellvertretend sei hier nur der Leiter des Metallarbeiterverbands Paul Schoppe genannt.

Die Namen der führenden Freien Gewerkschafter Lippstadts waren also im Februar 1933 bereits aktenkundig. Was kann man nun über die christlichen Gewerkschafter zu der Zeit hier sagen? Am 13. April 1933 berichtet der ‚Patriot‘ über eine gut besuchte Versammlung des christlichen Metallarbeiterverbandes im Kolpinghaus. Geschäftsführer Ernst Hamer betonte dabei die Gegnerschaft seines Verbandes zum Marxismus und die Ablehnung des Klassenkampfes und meinte in den Eigenschaften ‚christlich‘ und ’national‘ weitere Übereinstimmungen mit der NS-Regierung zu erkennen. Damit wollte er den christlichen Gewerkschaften ihre Stellung im neuen Deutschland sichern. Dass das keinen Erfolg haben konnte, wissen wir heute in der Rückschau auf die Entwicklung.

Kontake zwischen den Gewerkschaften

Ungeachtet der Gegnerschaft der christlichen Gewerkschaften zum Marxismus, dem die Freien Gewerkschaften zugerechnet wurden, könnte es in Lippstadt doch Kontakte zwischen den beiden Gewerkschaftsrichtungen gegeben haben: Bis Juli 1931 hatte das Arbeitsamt eine Holzbaracke im Garten des Hauses Marktstraße 23 in städtischem Besitz genutzt. Als die Räume dann frei wurden, bemühte sich im September Paul Schoppe für den ADGB um Überlassung eines Raumes für seinen Verband, der in Lippstadt kein eigenes Heim hatte.

Die Baracke sollte als Wärmehalle und Lesezimmer für erwerbslose Verbandsmitglieder dienen. Im Oktober 1931 genehmigte der Magistrat diese Nutzung und übertrug jeweils mietfrei die Baracke an den ADGB und ‚leerstehende Räume im Haus Marktstraße 23‘ an den DGB, die sie dann in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander für etwa 1 ½ Jahre entsprechend genutzt haben.
Dies wurde durch einen Beschluss des Lippstädter Magistrats vom 18. April 1933 abrupt beendet: ‚Die bisher an den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund und den Deutschen Gewerkschaftsbund abgegebenen Räume auf dem Grundstück Marktstrasse 23 [sind] diesen Gewerkschaften sofort zu entziehen und einstweilig der NSDAP für die SA und SS zur Verfügung zu stellen.‘

Kündigung ging an Paul Schoppe

Die Räumung wurde vom ADGB gefordert, ‚da sich aus der Benutzung Unzuträglichkeiten ergeben haben‘