Eine beeindruckende Lebensgeschichte

Hans Zaremba zum Tod von Hans-Jochen Vogel

Als der am Sonntag, 26. Juli 2020, im Alter von 94 Jahren verstorbene ehemalige SPD-Parteivorsitzende Hans-Jochen Vogel vor vier Jahren anlässlich seines 90. Geburtstages gefragt wurde, wie er sein langjähriges Engagement in der Politik einmal bewerten würde, sagte er knapp und bündig: „Er hat sich bemüht.“ Diese Zurückhaltung um seine Person prägte seine gesamte politische Lebensgeschichte.

Stationen

Diese war durchaus beeindruckend: Sie führte ihn vom Amt des Oberbürgermeisters in München (1960-1972) über die Tätigkeit als Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (1972-1974) im Kabinett von Willy Brandt und für Justiz (1974-1981) in der Regierung von Helmut Schmidt seinem Intermezzo als Regierender Bürgermeister von Berlin (1981) und seiner Aufgabe als Oppositionsführer im Berliner Abgeordnetenhaus (1981-1983) bis zum SPD-Kanzlerkandidaten (1983) sowie in die Funktionen des SPD-Fraktionschefs im Bundestag (1983-1991) und des SPD-Parteivorsitzenden (1987-1991).

Lippstadt am Freitag, 27. April 1990: Trotz erhöhter Sicherheitsauflagen ließ es sich Hans-Jochen Vogel (rechts) damals nicht nehmen, mit den dort versammelten Lippstädterinnen und Lippstädtern auf dem Rathausplatz in einem unmittelbaren Kontakt zu treten.

Grundsätze

In der Sozialdemokratie galt er zeitlebens als gutes Gewissen mit unerschütterlichen moralischen Grundsätzen. Abgesehen vom großen Thema „soziale Gerechtigkeit“ trieb ihm bis ins hohe Alter aber noch ein anderes Problem um: der drohende Zerfall Europas. Schon als der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union erstmals sichtbar wurde, sagte Hans-Jochen Vogel, dass 70 Jahre Frieden in Europa nur durch die Überwindung des Nationalismus möglich geworden seien. Noch zum letzten Jahreswechsel veröffentlichte der Sozialdemokrat alter Schule mit „Mehr Gerechtigkeit“ eine Schrift zum bezahlbaren Wohnen. Seine Parkinson-Erkrankung hatte er erst wenige Jahre vor seinem Tod öffentlich gemacht. Bis zuletzt lebte er mit seiner Frau Liselotte Vogel in einer Seniorenresidenz in München.

Mannheim am Mittwoch, 15. November 1995: Hans-Jochen Vogel trifft auf dem Bundesparteitag der SPD die Lippstädterinnen Erika Martin (verstorben Ende April 2011), Ursula Wolf und Anita Brülle.
Archiv-Fotos (2): Sammlung Hans Zaremba

Vorbereitet

Der 1926 im niedersächsischen Göttingen geborene Professoren-Sohn und spätere promovierte Einser-Jurist gehörte zu jenen Vormännern der SPD-Bundespartei, die in Lippstadt zu Veranstaltungen waren. Es war am Freitag, 27. April 1990, nur zwei Tage nach dem abscheulichem Attentat auf den damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine, als der für seine gewissenhafte Arbeit bekannte Hans-Jochen Vogel im Landtagswahlkampf zur Unterstützung des früheren Landtagsabgeordneten Karl-Heinz Brülle bei dessen zweiter Kandidatur für das Düsseldorfer Parlament an die Lippe gekommen war. Der Besuch anlässlich der Visite des SPD-Spitzenpolitikers an der Lippe war mit über 200 Besucherinnen und Besucher für einen Freitag enorm groß. Bei seiner Rede war er auf die örtlichen Verhältnissen gut vorbereitet, als er die Verdienste von Jakob Koenen – Bürgermeister von 1948 bis 1974 und Bundestagsabgeordneter von 1953 bis 1979 – erinnerte.

Sicherheit

Der Nachmittag mit der Kundgebung vor dem Rathaus war von einem Sicherheitsaufwand gekennzeichnet, der weder zuvor noch später bei Auftritten von SPD-Prominenten in Lippstadt registriert wurde. Davon ließ sich der Gast aus Bonn nicht beirren. Dieser wollte das direkte Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern auf dem Rathausplatz. Es war ein bemerkenswertes Bad in der Menge, das im April 1990 der SPD-Doppelvorsitzende von Partei und Fraktion in Lippstadt, nahm. Beachtlich war auch die Geduld seiner Zuhörer. Der prominente Mann aus der SPD-Spitze war ursprünglich für 14.30 Uhr angekündigt, erschien aber erst um 16.00 Uhr in Lippstadt. Der Grund war die über den Mittag gehende Plenarsitzung im deutschen Bundestag, der damals noch seinen Sitz in Bonn tagte.

Begegnungen

Weitere Begegnungen von Hans-Jochen Vogel und Lippstädter Sozialdemokraten gab es später im November 1995 auf dem SPD-Bundesparteitag in Mannheim – mit der Abwahl von Rudolf Scharping als Parteivorsitzender – und im September 2010 auf dem SPD-Treffen in Berlin anlässlich der 20jährigen Wiederkehr der Vereinigung der Sozialdemokraten aus dem Westen und Osten von Deutschland. Der heutige SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil charakterisierte den einstigen SPD-Parteichef nach dessen Tod mit den treffenden Worten: „Mit Hans-Jochen Vogel ist ein ganz großartiger Mensch von uns gegangen. Jemand, der dieses Land über Jahrzehnte geprägt hat und dem wir alle viel zu verdanken haben.“