Von der Politik über den Sport bis zur Mode

Eine Zeitreise mit Texten von Karl-Heinz Brülle und Musik von Christian Schwede

Ein gewisses Risiko ist schon dabei: Denn wir wollen heute eine etwas anders gestaltete Jubilarehrung vornehmen. Diese Worte stellte der ehemalige Landtagsabgeordnete Karl-Heinz Brülle an den Beginn seiner Laudatio bei der Jubilarehrung 2006 der Kernstadt-Sozialdemokraten. Dass sich das von Charly (wie er von vielen Lippstädtern freundschaftlich angesprochen wird) Brülle beschriebene Wagnis auszahlen sollte, zeigten nach Beendigung des harmonischen Nachmittags in der Volkshochschule (VHS) die durchweg positiven Anmerkungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Unterschiedliche Schwerpunkte.Eine interessante Zeitreise unternahm der ehemalige Landtagsabgeordnete Karl-Heinz Brülle bei seiner Laudatio für die SPD-Jubilare.

Unterschiedliche Schwerpunkte

Statt eines traditionellen Festvortrages brachte der 1949 in Lippstadt geborene und inzwischen selbst zum Urgestein der Sozialdemokratie gewordene SPD-Ortsvereinsvorsitzende von 1973 bis 1979, Vorsitzende des SPD-Stadtverbandes von 1974 bis 1976, Landtagsabgeordnete von 1985 bis 1995 und Chef der SPD-Stadtratsfraktion von 1991 bis 1999 die Ereignisse in kurzen Betrachtungen von drei bis vier Minuten in die Erinnerung des Treffens in der VHS zurück. Da nicht jedes Jahr gleich interessant war, lag mal der Schwerpunkt bei den bundesweit bewegenden Themen, in anderen Jahren stand Lippstadt im Vordergrund der äußerst interessanten Rückblicke des Hobbyhistorikers und Sonderschulpädagogen. Abgerundet wurden die Beiträge von Karl-Heinz Brülle mit einer musischen Zeitreise des Lippstädter Musikers Christian Schwede. Dazu spielte der Gitarist jeweils ein Lied, das in den Jahren der Parteieintritte der Jubilare entstanden und sozusagen ein Ständchen für die zu ehrenden Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten war.

Ehrung für zehn Jahre Mitgliedschaft in der SPD.Von links nach rechts die Jubilare Manuel Rodriguez-Cameselle, Stefan Brülle und Michael Bosäck und der Laudator Karl-Heinz Brülle.

1995 und 1996

Für den Redner Karl-Heinz Brülle war das Jahr 1995 persönlich nicht von besonderer Freude. Die Zahl von ganzen 159 Stimmen war ausschlagend, dass der Lippstädter das 1985 erstmals gewonnene und 1990 erfolgreich verteidigte Landtagsmandat verlor. „Knapp daneben ist eben auch vorbei“, war der Kommentar von Charly Brülle und er fügte hinzu: „In diesem Jahr ist auch unser jüngster Sohn Stefan unserer Partei beigetreten.“ Nicht aus Freude über die Niederlage des Vaters – wie man vermuten könnte -, sondern mit dem Argument: „In guten Zeiten beizutreten, ist leicht und bequem. Ich mache es mir nicht leicht!“ Im Jahr 1995 habe Lippstadt in einer kurzen Phase nach 1974 mit Klaus Helfmeier wieder einen sozialdemokratischen Bürgermeister gehabt. Die SPD musste auf ihrem Parteitag in Mannheim mit dem Wechsel im Bundesvorsitz von Rudolf Scharping auf Oskar Lafontaine erstmals den Sturz eines Parteivorsitzenden erfahren. Der Kernstadt-Sozialdemokraten hätten sich mit zwei Ständen am Wettbewerb des „lebendigen Ortsvereins“ aktiv beteiligt und waren somit Zeitzeugen der Ereignisse im Mannheimer Rosengarten. Der SPD sind in den Jahren 1995 und 1996 Stefan Brülle, Gudrun Franke-Schubert, Paul-Hans Grawe, Hans-Georg Leßmann, Sandra Martin, Manuel Rodriguez-Cameselle, Michael Schliep und Wolfgang Zscheile beigetreten. Die Musik der Jahre 1995 und 1996 war der Song der Gruppe Take That „Back for Good“.

Auszeichnung für 20jährige Treue für die SPD.Von links nach rechts der Gratulant Karl-Heinz Brülle, die geehrten Mitglieder Marga Scholl, Marlies Stotz, Edmund Goldstein und Waltraud Brülle und der SPD-Ortsvereinschef Hans Zaremba.

1985 und 1986

Entgegen 1995 war 1985 für Karl-Heinz Brülle natürlich ein gutes Jahr. „Zum ersten Mal konnten wir im damaligen Landtagswahlkreis 141 das Direktmandat holen. In Lippstadt hatten wir das beste Ergebnis aller Zeiten. 62,1 Prozent hatten wir landesweit“, erinnerte sich der damalige Wahlsieger im heimischen Bereich, Charly Brülle, gerne an den Mai 1985. Weiteren Ereignisse in 1985 und 1986 seien die Nominierung von Johannes Rau zum Kanzlerkandidaten der SPD, die Katastrophe von Tschernobyl, das 800jährige Stadtjubiläum von Lippstadt und der Versuch der Kernstadt-Sozialdemokraten gewesen, die frühere Bundestagspräsidentin Annemarie Renger als Bundestagskandidatin der SPD für den Wahlkreis Soest durchzusetzen. Mit Annemarie Renger habe es leider nicht geklappt, wozu Christian Schwede in die Saiten griff und den Song der Gruppe Opus aus der Zeit „Life ist life“ aufspielte. Den Weg in die SPD fanden in 1985 und 1986 Gerd Auras, Waltraud Brülle, Edmund Goldstein, Gerhard Harry Heider, Maike Köller, Rita Kopmann, Marga Scholl, Lydia Schulte und Marlies Stotz.

Glückwünsche für 30 Jahre Mitgliedschaft in der SPD.Die Gratulanten Hans Zaremba (links)und Karl-Heinz Brülle (rechts) umrahmen die Jubilare Josef Künemund und Heinrich Junghofer.

1975 und 1976

Das Jahr 1975 habe für Lippstadt, so Charly Brülle, einschneidende Veränderungen gebracht. Mit dem 1. Januar sei die Kommunale Neuordnung in Kraft getreten und Lippstadt von 30 Quadtratkilometer mit 41.000 Einwohnern auf 113 Quadtratkilometer mit 63.000 Einwohnern angewachsen. Die neuen Stadtteile wurden in die Stadt Lippstadt eingegliedert und nicht mit ihr zusammengeschlossen. Dadurch blieb die alte Stadt Lippstadt erhalten und die eingegliederten Gemeinden verloren damit ihre Selbständigkeit. Die Neugliederung hatte zwangsläufig auch Folgen auf das Kommunalwahlergebnis im Mai 1975. Da in den vormals selbständigen Dörfern die CDU bis auf Cappel, Lipperode und Overhagen ausschließlich über absolute Mehrheiten verfügte, war es nicht verwunderlich, dass die CDU bei der ersten Ratswahl in der neuen und größeren Stadt ebenfalls die absolute Mehrheit errang und mit Dr. Barbara Christ die Bürgermeisterin stellen konnte. In Mannheim fanden 1995 der Bundesparteitag der SPD (mit der Wiederwahl von Willy Brandt zum Vorsitzenden) und die Bundesgartenschau statt. Das Jahr 1976 registrierte die von der CSU beschlossene (und wenige Wochen später wieder zurückgenommene) Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU im Bundestag und die Eröffnung des Elbe-Seiten-Kanals. Ein Dammbruch legte diese Verkürzung des Schiffsweg zwischen Hamburg und Ruhrgebiet um 250 Kilometer im ersten Jahr schon wieder still. Wie passend dazu das in diesem Jahr erschienene Lied „SOS“ von Abba, das gleichfalls von Christian Schwede bei der Ehrung in der VHS gespielt wurde. Den Weg in die SPD fanden in 1975 und 1976 Bärbel Haltenhof, Heinrich Junghofer, Josef Künemund, Heinz Hermann Peters und Johannes Westkemper.

Dank für 35 Jahre Zugehörigkeit in der SPD.Hans Zaremba und Karl-Heinz Brülle haben Maria Hille und Heinz Harms in ihre Mitte genommen.

1970 und 1971

Die Jahre 1970 und 1971 waren von der konsequenten Entspannungspolitik der SPD-geführten Bundesregierung geprägt, wie dies Charly Brülle in seiner Rückschau betonte. Bundeskanzler Willy Brandt reiste nach Erfurt, wo es mit dem damaligen DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph zum ersten innerdeutschen Gipfel kommt. Eine Lohnerhöhung in der Eisenindustrie um 10 bis 13,5 Prozent kennzeichnete die Tariflandschaft. „Allgemein steigen zu jener Zeit die Löhne schneller als die Preise“, resümierte der Laudator die damalige Situation. In Lippstadt kommt es zum Abriss des alt-ehrwürdigen Gebäudes des Ostendorf-Gymnasiums, in dem Karl-Heinz Brülle noch seine Abiturprüfung absolviert hat, um den Neubau des Stadttheaters Platz zu machen. „Die Lippstädter Jusos waren gegen diesen Bau. Statt eines elitären Kulturtempels wollten sie eine bürgernahe Volkshalle“, berichtete der aktive Juso aus dem Beginn der 70ziger Jahre. Ein Ohrwurm aus dieser Zeit war „Rose Garden“ von Lynn Anderson und von Christian Schwede in die Erinnerung zurückgeholt. Die SPD in Lippstadt erhielt in 1970 und 1971 Zuwachs von Werner Franke junior, Heinz Harms, Heinz Hilgers, Maria Hille, Heinz-Otto Junge, Herbert Matz und Hans Zschornack.

Anerkennung für 40 Jahre Engagement in und für die SPD.Hans Zaremba und Karl-Heinz Brülle würdigten Walter Neumann (zweiter von links) und Hans Alers.

1965 und 1966

„1965 war für Lippstadt ein schlechtes Jahr“, berichtete Karl-Heinz Brülle mit Blick auf das Hochwasser am 17. Juli 1965. Durch einen Deichbruch der Lippe bei Lipperode wurde auch der Lippstädter Norden stark betroffen. Hier floss das Wasser in einigen Teil nicht alleine ab. „Eine geplante Maßnahme war, einen Graben über die Barbarossastraße und durch einen Gärtnereibetrieb zu buddeln“, ging der selbst im Lippstädter Norden seit seiner Kindheit wohnende Sozialdemokrat auf die dramatischen Ereignisse des Juli 1965 ein. Der von der Maßnahme betroffene Gärtnermeister Walter Neumann war davon alles andere als einverstanden. Er wandte sich an den damaligen Bürgermeister Jakob Koenen und konnte erreichen, dass das Problem mit Pumpen anders gelöst werden konnte. Eine Erfahrung, die Walter Neumann den Weg in die SPD und die aktive Kommunalpolitik öffnen sollte. Die Bundestagswahlen im Herbst bestätigten mit 47,6 Prozent für die CDU/CSU und 9,5 Punkte für die FDP die Regierung von Bundeskanzler Ludwig Erhard (CDU), wobei die SPD auf 39,3 Prozent kam. Bereits im Dezember 1966 war diese Regierung am Ende und wurde von der ersten großen Koalition abgelöst. Einer der bekanntesten Rocksongs der Musikgeschichte und in der VHS vortrefflich von Christian Schwede dargeboten war 1965 der Klassiker „Satisfaction“ von den Rolling Stones. Die SPD in Lippstadt verstärkte sich im Jahr 1965 durch Hans Alers, Inge Feith und Walter Neumann.

Respekt vor einer großen Leistung für die Arbeiterbewegung.Der SPD-Ortsvereinsvorsitzende Hans Zaremba zeichnet den früheren SPD-Fraktionschef im Rathaus und langjährigen Ersten Bevollmächtigten der Metaller, Werner Franke, für 45 Jahre in der Sozialdemokratie aus.

1960

Von Karl-Heinz Brülle wurde die innenpolitische Lage des Jahres 1960 in der Amtszeit des Verteidigungsministers Franz Josef Strauß (CSU) mit der Forderung des Führungsstabes der Bundeswehr beschrieben, auch für sie die Atombewaffnung einzuführen. Ebenso blickte er auf den knappen Ausgang der amerikanischen Präsidentenwahl, wo sich der später ermordete John F. Kennedy mit 49,7 Prozent denkbar eng gegen Richard M. Nixon mit 49,6 Punkten durchsetzen konnte. Die Tarifpartner der eisenschaffenden Industrie einigen sich zu diesem Zeitpunkt auf die stufenweise Einführung der 40-Stundenwoche. Zugleich wurde das Gesetz zum Schutz der arbeitenden Jugend und die Privatisierung des Volkswagenwerkes beschlossen. Die Rentner können sich in diesen Zeiten auf eine Erhöhung ihrer Bezüge um 6 Prozent freuen. Von Christian Schwede wurde in der VHS mit Blick auf den 1960 erfolgten Eintritt von Werner Franke, dem späteren hauptamtlichen Sekretär und Ersten Bevollmächtigen der Industriegewerkschaft Metall in Lippstadt, in die SPD das Arbeiterlied „Der kleine Trompeter“ gespielt.

Dank und Anerkennung für ein Leben für die Politik.Werner Roß, Goldjubilar der Kernstadt-SPD, wird von Hans Zaremba und Karl-Heinz Brülle für sein ehrenamtliches und berufliches Engagement für die Sozialdemokratie ausgezeichnet und gewürdigt.

1955

„1955 war ein schönes Jahr“, blickte Karl-Heinz Brülle auf den schönsten Sommer seit 100 Jahren und die erste Bundesgartenschau in Kassel zurück. Auch wirtschaftlich habe die Bundesrepublik gut dagestanden. Die Arbeitslosigkeit erreichte mit 495.000 Arbeitssuchenden ihren tiefsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg, zwei Jahre später ging sie gar auf 100.000 zurück. Auch die Löhne stiegen an, im Bergwerk um 9,5 Prozent und in der Metallindustrie um 7,3 Prozent. Die Bundesrepublik Deutschland erhielt durch die Pariser Verträge mit der Beendigung des Besatzungsregimes ein höheres Maß an Souveränität und tritt der Nato und der Westeuropäischen Union bei. In der Mode habe sich 1955 die sogenannte A-Linie (Hängende Schultern, keine Hüften und breite Röcke) durchgesetzt und in der Öffentlichkeit sei mit der Diskussion über die „Halbstarken“ das Problem der Jugendverwahrlosung erörtert worden. „Die Erinnerungen an das Jahr 1955 sind überwiegend positiv“, schloss Charly Brülle seinen Exkurs in die Geschichte von 1955. Christian Schwede erinnerte mit dem Song „Memories are made of this“ von Dean Martin an das musikalische Highlight des Jahres 1955, in dem Werner Roß der Sozialdemokratie beitrat und für die er sich in der Folge sowohl ehrenamtlich als auch beruflich engagieren sollte.

Die vorstehende Zeitreise mit den Rückblicken von Karl-Heinz Brülle und der Musik von Christian Schwede wurde vom SPD-Ortsvereinsvorsitzenden Hans Zaremba (Text) und dem stellvertretenden SPD-Ortsvereinsvorsitzenden Bernhard Scholl (Fotos) für die Präsentation im Internet aufgezeichnet.