Ausgabe Nr. 2/2010: Folgenreiche Weichenstellung

Parteigeschichte

Fahrten in ein unbekanntes Land

Erinnerungen an die Wendezeit im Jahr 1990 von Hans Zaremba

Es waren Fahrten in ein unbekanntes Land, die vor 20 Jahren von einigen Lippstädter Sozialdemokraten in die damals noch bestehende DDR unternommen wurden. Kaum jemand von den Teilnehmern dieser Touren zum Aufbau einer demokratischen Struktur in Oschatz und in der sächsischen Region war zuvor häufiger im zweiten deutschen Staat gewesen. Mit dem Landstrich zwischen Elbe und Oder verbanden bis zur politischen Wende und dem Mauerfall viele Sozis an der Lippe überwiegend Trostlosigkeit und vor allem eine unangenehme Begegnung mit den staatlichen Organen beim Grenzübertritt oder bei der Reise auf den Wegen von und nach Berlin.

Momentaufnahme.So kahl und schmucklos sah es im Januar 1990 im Oschatzer Stadtzentrum aus.

Hilfe in Oschatz

Zwangsläufig unternahmen etliche von uns mit Beklommenheit am Samstag, 27. Januar 1990, die Reise mit dem Auto von Lippstadt nach Oschatz, wo wir uns beim Aufbau einer demokratischen Struktur einbringen wollten. Immerhin war die DDR auch nach der Öffnung ihrer Grenzen noch Mitglied des Warschauer Paktes und kein Rechtsstaat nach der uns bekannten Lesart. Doch wir waren alle beseelt, die Sozialdemokratische Partei im Osten von Deutschland zu stärken. Dies vor allem, um die DDR-SPD im Wettbewerb gegenüber der allmächtigen PDS, die unter Gregor Gysi das SED-Erbe übernommen hatte, zu unterstützen. Die erste Hilfe war praktisch angelegt. Schreibmaschinen und Druckautomaten wurden von Westfalen nach Sachsen gebracht. Personalcomputer und andere elektronische Raffinessen gab es 1990 noch nicht in der heute bekannten Breite. Auf die technischen Instrumente aus dem Westen waren die jungen engagierten Leute in Oschatz angewiesen, wenn sie gegen den im Dezember 1989 von den Nachfolgern des greisen Politbüros übernommenen riesigen Apparat der bis dato das politische und gesellschaftliche Leben ganz und gar beherrschenden Einheitspartei nicht untergehen wollten. Diese technische Ausstattung war eine wesentliche Voraussetzung für die Eröffnung des ersten Parteibüros der Oschatzer SPD, bei dem die Lippstädter Unterstützer am Sonntag, 28. Januar 1990, in dem bis Ende 1989 von der SED als Bildungszentrum genutzten Gebäude zugegen waren. Die von den Vorbesitzern bei der ideologischen Schulung verbreiteten Losungen waren noch als Aufschrieb auf den Wandtafeln zu erkennen. Aber nicht nur Geräte und Papier war bei den jungen Sozialdemokaten im anderen Teil von Deutschland gefragt. Sie mussten auch lernen, wie sich die Abläufe des politischen Alltags in einem föderal ausgerichteten Land mit kommunaler Selbstverwaltung darstellten, was sie als Bürger eines diktatorisch regierten zentralistischen Staates nicht kannten.