Begeistert von Björn Engholm

Der SPD-Bundesparteitag von Bremen im Jahr 1991

Der Bundesparteitag der Sozialdemokraten in Bremen vom 28. bis 31. Mai 1991 hatte nicht nur über die Positionen der SPD zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr unter der Flagge der UNO und den künftigen Sitz der Bundeshauptstadt (Bonn oder Berlin) zu befinden, sondern ihm oblag es auch, für den aus Altersgründen scheidenden Parteivorsitzenden Hans-Jochen Vogel einen Nachfolger zu finden. In dieses Amt wählten die am 29. Mai 1991 in der Bremer Stadthalle versammelten Delegierten den damaligen Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Björn Engholm.

Lippstädter Aufgebot für den Bremer Parteitag:Zum SPD-Bundestreffen der SPD im Mai 1991 waren von der Lippe (von links nach rechts) Hans Zaremba, Bernhard Scholl, Anita und Karl-Heinz Brülle an die Weser gefahren.

Hoffnungsträger

Nicht von ungefähr hatte „Der Spiegel“ für seine Titelgeschichte am 27. Mai 1991 die Überschrift „Eine schwere Prüfung“ gewählt. Der gelernte Schriftsetzer Björn Engholm, der über den zweiten Bildungsweg zum Diplompolitologen aufstieg, errang nach der leidigen Affäre um den früheren und im Oktober 1997 verstorbenen CDU-Regierungschef in Kiel, Uwe Barschel, bei der Landtagswahl 1988 mit 54,8 Prozent einen grandiosen Sieg für die SPD. So wurde Björn Engholm nach dem Rückzug von Hans-Jochen Vogel und der Absage ihres Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine nach der verlorenen Bundestagswahl von 1990, den ihm angetragenen Doppelvorsitz der Partei und der Fraktion im Bund zu übernehmen, zum neuen Hoffnungsträger der SPD. Bei seiner Krönung in Bremen mit dem Lippstädter Karl-Heinz Brülle als Delegierten erzielte der am 9. November 1939 in Lübeck geborene Politiker mit 458 von 470 Stimmen und 97,4 Prozent ein Rekordergebnis.

Enge Vertraute ihres Chefs:Cornelie Sonntag, in der Bildmitte und umgeben von etlichen Frauen aus dem Lippstädter SPD-Ortsverein, stellte im Juni 1991 im Hotel-Restaurant Ortwein die politischen Vorstellungen des vor 20 Jahren in Bremen gewählten SPD-Parteivorsitzenden Björn Engholm vor.

Akzente

Von ihm erwartete seine Partei, die in der Nachkriegsgeschichte nur in 13 Jahren den Kanzler stellte, nach der Wiedervereinigung und dem Wegfall der Militärblöcke in West und Ost die Rückkehr in die Verantwortung im Bund. Wahrlich keine einfache Aufgabe für einen Mann, der von vielen lediglich als Schöngeist gesehen wurde. Doch diese Betrachtung war zu kurz gegriffen. Durch seinen Führungsstil an der Förde, der sich nicht nur auf Autorität und Macht stützte, war er zu einem der beliebtesten Regenten in Deutschland geworden. Zudem setzte er mit seiner Personalpolitik völlig neue Akzente, indem in sein Kabinett gleich vier Ministerinnen und einen parteilosen Professor zum Chef des Umweltressorts berief. Auch die Genossinnen und Genossen im Lippstädter SPD-Ortsverein waren von ihrem neuen Vormann der Bundespartei begeistert und ließen sich im Juni 1991 von seiner Pressesprecherin Cornelie Sonntag, einer ehemaligen NDR-Journalistin, die Vorstellungen von Björn Engholm in einer Veranstaltung im Hotel-Restaurant Ortwein erläutern.

Maßstäbe

Es war einfach schade, dass Björn Engholm nach nur zwei Jahren den Vorsitz der SPD aufgegeben und sich wegen der Spätfolgen der Vorfälle aus dem Jahr 1987, bei denen er durch übliche Machenschaften des politischen Gegners ausgeforscht wurde und vernichtet werden sollte, gänzlich aus der Tagespolitik zurückgezogen hat. Es waren die von ihm gesetzten eigenen Maßstäbe, die ihn nach einer Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss im Landtag von Schleswig-Holstein am 3. Mai 1993 zum plötzlichen Rücktritt von allen Ämtern (Ministerpräsident in Kiel, Parteivorsitz und Kanzlerkandidat der SPD) zwangen. Nach dem Schleswig-Holsteiner folgte der Rheinland-Pfälzer Rudolf Scharping als Vorsitzender, der im Juni 1993 mit der bisher einzigen Mitgliederbefragung in der SPD-Geschichte für das höchste Parteiamt in den damals noch rund 11.000 Ortsvereinen auf den Chefsessel der ältesten deutschen Partei gehoben wurde.

Parteileben

Auf dem Bremer SPD-Parteitag 1991 war der Lippstädter SPD-Ortsverein zum ersten Mal bei einer Ausstellung „Lebendiger Ortsverein“ im Rahmen der bundesweiten Präsentation der örtlichen Arbeit vertreten. Anita Brülle, Bernhard Scholl und der Verfasser dieses Artikels boten das Engagement der Sozialdemokraten aus Lippstadt nach der politischen Wende in der DDR beim Aufbau einer demokratischen Struktur im sächsischen Oschatz dar. Dazu hatten sie Veröffentlichungen aus der Lokalpresse und einen Videofilm mitgebracht, mit denen sie über die Treffen der Sozialdemokraten aus Oschatz mit ihren Parteifreunden an der Lippe berichteten und ihren Einsatz nach dem Mauerfall in der Region zwischen Leipzig und Riesa erklärten. In einem Wegweiser, der als schriftlicher Begleiter für die Dokumentation des Lippstädter SPD-Ortsvereins in der Bremer Stadthalle auslag, unterstrichen sie, dass nach ihren Erfahrungen die bisherigen Kontakte zwischen den Sozis aus der alten Bundesrepublik mit denen aus den neuen Ländern nicht ausreichten, um der SPD in der ehemaligen DDR bei ihren Herausforderungen im politischen Alltag zu helfen. Auch 20 Jahre später verfügt die SPD über keine ausreichende Organisation in Sachsen, was auch zwangsläufig seine Auswirkungen bei den Wahlen offenbart.

Hans Zaremba