Wettbewerb um den Parteivorsitz

Hans Zaremba über das Treffen der SPD-Basis in Kamen

Für die Akteure auf der Bühne war es am vergangenen Wochenende nach 17 Regionalkonferenzen von insgesamt 23 Treffen dieser Art die Premiere in Nordrhein-Westfalen, als sich die sieben Frauen und sieben Männer als Kandidatenpaare für den SPD-Bundesvorsitz der Parteibasis präsentierten. Dazu waren über 1.000 Genossinnen und Genossen – unter ihnen auch viele aus Lippstadt und der angrenzenden Region – in die bis auf den letzten Platz gefüllte Stadthalle in Kamen gekommen.

Momentaufnahme bei der SPD-Konferenz in Kamen:Norbert Walter-Borjans (links) erläutert mit seiner Partnerin im Wettbewerb um den SPD-Parteivorsitz, Saskia Esken, warum er die Große Koalition in Berlin beenden möchte, während die Befürworter des derzeitigen Bündnisses aus den Unionsparteien und der SPD, Olaf Scholz und Klara Geywitz, diese Ausführungen mit skeptischer Miene verfolgen. Foto: Karl-Heinz Tiemann

Groko: Vom Ausstieg bis zum Verbleib

Die von den Bewerberinnen und Bewerbern formulierten Ideen im Wettbewerb um den Parteivorsitz reichten von einem klaren Nein zur Großen Koalition (Groko) in Berlin, das der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (Köln), der sich mit seiner Partnerin Nina Scheer (Schleswig-Holstein) um die Parteispitze bewirbt, am deutlichsten artikulierte, bis zum Hamburger Olaf Scholz, der mit Klara Geywitz (Potsdam) die Regierung mit den Unionsparteien im Bund bis zur regulären Wahl in 2021 fortführen möchte. Der Vizekanzler setzte auf seine Kabinettserfahrung, die aber seine Mitbewerber als eine Schwachstelle sehen, weil sie für eine Trennung der Parteifunktionen von den Regierungsämtern eintreten. Sie meinen: Die nächsten Vorsitzenden sollten ihre ganze Kraft darauf verwenden, die Sozialdemokatie aus ihrem Tief wieder herauszuführen. Auch Saskia Esken aus dem Nordschwarzwald, die gemeinsam mit dem früheren Finanzminister aus Nordrhein-Westfalen, Norbert Walter-Borjans, den Kurs der SPD mitbestimmen will, sieht das Bündnis aus CDU/CSU und SPD skeptisch: „Mit der Groko baut man keine gerechte Zukunft.“ Die ehemalige Landesministerin in NRW, Christina Kampmann (Bielefeld), die im Duett mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth aus Hessen, den Parteivorsitz anstrebt, will eine Kindergrundsicherung und das Ende von Hartz IV durchsetzen. Eine sofortige Beerdigung von Hartz IV forderte auch Hilde Mattheis aus Ulm, die als Repräsentantin des linken Flügels der SPD mit Dierk Hirschel, Chefökonom der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), in die Vorstandsetage im Willy-Brandt-Haus einziehen und auch die schwarze Null weg haben will. Nach den Worten dieses Duos stärke die GroKo den rechten Rand, womit die AfD im Bundestag die Oppositionsführerin mit allen informellen Privilegien sei.

Richtschnur für den Bundesparteitag

Die Forderung nach einem Ausstieg der SPD aus der aktuellen Bundesregierung bestimmte auch den Beitrag von Ralf Stegner aus Schleswig-Holstein, der dies jedoch von „einer ehrlichen Halbzeitbilanz“ seiner Partei in dem jetzigen Regierungsbündnis abhängig machen möchte. „Dazu gehören Fragen, was in den kommenden zwei Jahren noch umsetzbar ist“. Für ihn, der mit Gesine Schwan, Professorin aus Berlin, auf den Bundesvorsitz der SPD schaut, gehören dazu eine Grundrente, die den Namen verdient, europäische Abrüstungsinitiativen, Kampf gegen Kinderarmut, konsequenter Klimaschutz, der Arbeitnehmer trotzdem nicht über Gebühr belaste. Das Team Petra Köpping, Integrationsministerin in Sachsen und einstige Landrätin des Kreises Leipziger Land, und Boris Pistorius, Innenminister in Niedersachsen und zuvor Oberbürgermeister von Osnabrück, forderten eine ‚große Steuerreform‘ – und erklärten, warum sie nicht um jeden Preis die in vielen SPD-Ortsvereinen ungeliebte Koalition im Bund verlassen wollen. Das Ost-West-Tandem setzt bei der Erneuerung der SPD auf seine kommunalpolitischen Erfahrungen. Nach den mit viel Applaus begleiteten Vorstellungen aller antretenden Pärchen richtete die Basis der Sozis an sie zahlreiche kritische Fragen, die vom Klimawandel über den Wohnungsbau bis zur Seenotrettung reichten. Auch bei diesem Teil der spannenden Veranstaltung dominierten die Kritiker der Großen Koalition. Einen klaren Gewinner unter den Kandidierenden gab es in Kamen zwar nicht, aber der Sieger des Tages war der 13-jährige Jonas, der ins Saalmikro rief: ‚Raus aus der GroKo und einen klaren linken Kurs‘ und zugleich selbstbewusst ankündigte: „Ich möchte nächstes Jahr in die SPD eintreten, wenn ich 14 werde.“ Nun geht die SPD in die entscheidenden Wochen, wo nach den Regionalkonferenzen die Mitglieder-Abstimmung für die von ihnen bevorzugte Doppelspitze – möglicherweise mit einer Stichwahl, wenn kein Paar im ersten Durchgang die Hürde von 50 Prozent überwinden sollte – ansteht. Das letztendliche Votum haben die Delegierten des SPD-Bundesparteitages zu fassen, die formal die Vorsitzenden bestimmen. Für sie soll aber die Entscheidung der über 426.000 Mitglieder eine Richtschnur ihrer Entscheidung sein.