„Ben Wisch“ im „Augustinerhof“

Hans Zaremba über eine Begegnung in 1985

Derzeit haben die Abrissbagger in der Bahnhofstraße regelrecht Hochkonjunktur. Neben dem Abbruch der einstigen Kult-Gaststätte „Don Quijote“ ist auch das zuletzt immer mehr verfallene und im Jahr 1981 geschaffene GIHA-Hotel, aus dem später der „Augustinerhof“ wurde, verschwunden. In dieser Herberge fand nach der offiziellen Eröffnung der Herbstwoche am Samstag, 19. Oktober 1985, eine bemerkenswerte Begegnung mit dem vormaligen und am 24. Februar 2005 in Köln verstorbenen Bundesminister Hans-Jürgen Wischnewski statt. Daran erinnert der SPD-Ortsvereinsvorsitzende Hans Zaremba in diesem Beitrag.

Lippstadt am Samstag, 19. Oktober 1985: Aufnahme an einem bemerkenswerten Abend im „Augustinerhof“ mit Hans-Jürgen Wischnewski (vorne in der Mitte), im Uhrzeigersinn umgeben von den heimischen Sozialdemokraten Heinfried Heitmann, Engelbert Sander, Dr. Franz Walter Henrich, Hans Zaremba und Karl-Heinz Brülle.
Archiv-Foto: Sammlung Hans Zaremba

Tradition in Lippstadt

Der langjährige SPD-Spitzenpolitiker und enge Weggefährte der früheren Bundeskanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt war als Schirmherr für die Herbstwoche 1985, die dem 800jährigen Stadtjubiläum von Lippstadt gewidmet war, gewonnen worden. Verabredet hatten dies im August 1985 in einem Telefonat der Ende September 2020 entschlafene Wolfgang Clement, damals stellvertretender Bundesgeschäftsführer und Pressesprecher in der legendären SPD-Baracke in Bonn, und der Verfasser dieser Zeilen. In jenen Jahren war es eine bewährte Tradition, für die im Oktober wiederkehrende Lippstädter Veranstaltung einen bedeutenden Politiker als „Patron“ zu verpflichten. Eine Gepflogenheit, die sich damals die drei im Stadtrat vertretenen Parteien (CDU, FDP und SPD) im stetigen Wechsel teilten. Dieser Brauch ist aber mit der auch an der Lippe ab den 1990er Jahren wegen der fortwährend steigenden Zahl von politischen Vereinigungen entfallen, die nach der jüngsten Kommunalwahl am 13. September 2020 jetzt bereits acht Gruppierungen umfasst. Der am 24. Juli 1922 im ostpreußischen Allenstein geborene Hans-Jürgen Wischnewski war nach dem Bundesverteidigungsminister Georg Leber (1973), der Bundestagspräsidentin Annemarie Renger (1976) und dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau (1979), der vorerst letzte SPD-Politiker, dem diese ehrenvolle Aufgabe für die Herbstwocheneröffnung übertragen wurde. Gängig war es zu jener Zeit auch, dass sich die Parteien nach den offiziellen Vorgängen mit einem Konzert im Musentempel am Cappeltor und dem folgenden Empfang im Rathaus mit der Eintragung des Ehrengastes ins „goldene Buch“ der Stadt mit den vorwiegend aus Bonn angereisten Prominenten in die Lokalitäten in der Innenstadt begaben.

Verhandlungen in Mogadischu

So auch vor 35 Jahren, als viele der damaligen Protagonisten der Sozialdemokratie aus Lippstadt und in der Region gemeinsam mit „Ben Wisch“ – einen Namen, der ihm durch seine guten Verbindungen in den arabischen Raum von Willy Brandt verliehen wurde – in den „Augustinerhof“ einkehrten. Bis in die Morgenstunden verharrte die Gruppe – unter anderem mit dem Landtagsmitglied Karl-Heinz Brülle, der Vizelandrätin Elisabeth Kuppert und dem Bundestagsabgeordneten Engelbert Sander sowie dem Soester Vizebürgermeister Hans Grabis – mit ihrem unterhaltsamen Besucher in dem Gästehaus in der Bahnhofstraße. Einer größeren Öffentlichkeit war der Ex-Staatsminister im Kanzleramt im Oktober 1977 durch seine Verhandlungen in Mogadischu (Somalia) bekannt geworden, wo er es schaffte, dass die auf einem Flug von Mallorca nach Deutschland entführte Lufthansa-Maschine „Landshut“ durch den Bundesgrenzschutz gestürmt und die Passagiere befreit werden konnten. Über die schwierigen Verhandlungen am Horn von Afrika wollten natürlich auch seine heimischen SPD-Parteifreunde mehr wissen. In seiner ihm eigenen Art berichtete Hans-Jürgen Wischnewski über die dramatischen Vorgänge aus dem Herbst 1977. Seiner Mission in der ostafrikanischen Stadt waren die im September 1977 durch die Terrorgruppe „Rote Armee Fraktion“ brutal erwirkte Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer und weitere Terroranschläge vorausgegangen. Als Sonderbeauftragter der Bundesregierung führte er im Auftrag des Kanzlers Helmut Schmidt an den Flughäfen, auf denen die von den palästinischen Terroristen gekaperte „Landshut“ gelandet war, Gespräche mit den lokalen Behörden. In Mogadischu erreichte er es schließlich, dass eine Sondereinheit der GSG (Grenzschutzgruppe) 9 das Flugzeug attackieren und die Geiseln retten konnte.

Hans-Jürgen Wischnewski und die SPD

Darüber hinaus hat sich Hans-Jürgen Wischnewski auch als SPD-Parteisoldat vielfältige Verdienste erworben. Seit 1946 gehörte er seiner Partei an. Von 1957 bis 1968 diente er ihr als Unterbezirkschef in Köln und von 1959 bis 1961 als Bundesvorsitzender der Jungsozialisten. Als Bundesgeschäftsführer der SPD fungierte er von 1968 bis 1972 und war ab 1970 auch Mitglied im SPD-Parteivorstand. Zudem war er von 1979 bis 1982 ihr stellvertretender Parteivorsitzender und in 1984/85 Schatzmeister. Besonders beschwerlich muss für ihn, wie er 1985 in Lippstadt enthüllte, seine Aufgabe als oberster Kassenwart seiner Partei gewesen sein. In dieser Funktion hatte er nach seinen Worten mit dem damaligen stellvertretenden SPD-Chef und für seine Genauigkeit bekannten Hans-Jochen Vogel, der das führende Parteiamt von Helmut Schmidt übernommen hatte, manchen Konflikt auszutragen. Durch die mit dem konstruktiven Misstrauensvotum vom 1. Oktober 1982 erfolgte Abwahl von Helmut Schmidt als Bundeskanzler und die verlorene Bundestagswahl am Sonntag, 6. März 1983, befand sich die Sozialdemokratie in dieser Zeit im Umbruch. Auf den langjährigen Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, Herbert Wehner, war ebenso Hans-Jochen Vogel gefolgt. Überdies zeichnete sich das Ende des Parteivorsitzes für Willy Brandt ab. Auch aus dieser spannenden Phase für die SPD schilderte „Ben Wisch“ Mitte der 1980er Jahre bei reichlich Kaffee und Cognac im damaligen „Augustiner Hof“ seinen Gastgeberinnen und Gastgebern aus der Sozialdemokratie in Lippstadt gleichfalls etliche denkwürdige Geschehnisse und manche witzige Geschichten.