1975 bis 2010

1999

Oskar Lafontaine schmeißt hin

Rücktritt ihres Parteivorsitzenden erschütterte 1999 die Sozialdemokratie

Der Abgang kam aus dem Nichts und stürzte die Sozialdemokratie schon fünf Monate nach der Regierungsübernahme im Bund in eine erste schwere Krise: Oskar Lafontaine schmeißt am Donnerstag, 11. März 1999, als Finanzminister und als SPD-Parteivorsitzender hin. Überdies legt der Saarländer am selben Tag auch sein am Sonntag, 27. September 1998, gewonnenes Direktmandat im Bonner Parlament nieder.

Wunden

Dieser spektakuläre Rückzug ihres Bundesvorsitzenden traf die Sozialdemokratie schwer. Viele Wunden sind auch nach einem Jahrzehnt immer noch nicht restlos vernarbt, insbesondere durch den späteren Austritt des Saarbrückers aus der SPD und dessen Engagement für die politische Konkurrenz. Oskar Lafontaine, bei der Bundestagswahl im Herbst 1998 neben dem späteren Kanzler Gerhard Schröder ein Garant des Erfolges der Sozialdemokraten und des Regierungswechsels in Bonn, kritisierte nach seiner Demission den Kurswechsel des Bundeskanzlers hin zu einer aus seiner Sicht arbeitnehmerfeindlichen Sozial-, Wirtschafts- und Steuerpolitik an vielen Einzelbeispielen. Das Schröder-Blair-Papier, eine Erklärung des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder und des britischen Premierministers Tony Blair vom 8. Juni 1999 zur Modernisierung der Industriegesellschaft, sah er – wie auch der französische sozialistische Ministerpräsident Lionel Jospin – als Abkehr von sozialdemokratischen Grundwerten und Hinwendung zum Neoliberalismus. Der Saarländer forderte eine Rückwendung der SPD zu ihrem Programm von 1998, war aber nach dem Erscheinen seines Buches „Das Herz schlägt links“ in der SPD weitgehend isoliert.

Neuaufstellung der SPD.In Bonn wurde im April 1999 der Bundeskanzler Gerhard Schröder zum Nachfolger des „geflohenen“ Oskar Lafontaine und zum neuen Parteivorsitzenden gewählt. Mit auf dem im „Maritim“ auf dem außerordentlichen Bundesparteitag entstandenen Foto befinden sich der Lippstädter SPD-Ortsvereinsvorsitzende Hans Zaremba (links) und sein Stellvertreter Bernhard Scholl.

Folgen

Zwangsläufig wirkte sich die „Flucht“ von Oskar Lafontaine auch vor Ort aus. Zwei Tage nach dem Bonner Geschehen trafen sich in Erwitte die Delegierten der SPD aus dem Kreis Soest, um ihre Kreistagskandidaten zu nominieren. Dass dabei der plötzliche Abschied ihres Parteichefs ein vieldiskutiertes Thema war, überrascht nicht. Die Folgen der März-Rücktritte waren auch im September 1999 bei der Landtagswahl im Saarland mit dem Verlust der Regierung und bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen zu spüren. In Lippstadt hatte die SPD bei der Ratswahl ein Minus von drei Sitzen zu beklagen. Ähnliche Einbrüche waren auch anderswo zu verzeichnen. Die SPD stellte sich im April 1999 auf dem Bonner Parteitag mit dem Kanzler Gerhard Schröder als Parteivorsitzender und im Dezember 1999 auf dem Berliner Bundestreffen mit Franz Müntefering als Generalsekretär neu auf.